Die Welt ist zunehmend von Klimawandel, sozialer Ungleichheit und geopolitischen Spannungen geprägt. Damit stehen auch Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Rolle in der Gesellschaft neu zu definieren. ESG – Environmental, Social, Governance – hat sich als Rahmenwerk etabliert, um unternehmerische Verantwortung zu strukturieren und zu messen. Doch wie können Unternehmen ESG-Strategien entwickeln, die sowohl betriebswirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Nutzen stiften?
ESG als Erfolgsfaktor für zukunftsorientierte Unternehmen
Der Aufstieg von ESG in den letzten Jahren war bemerkenswert. Laut Bloomberg Intelligence erreichte das verwaltete Vermögen in ESG-ETFs und -Fonds 2021 weltweit 2,7 Billionen US-Dollar. Unternehmen aller Branchen haben ESG-Strategien entwickelt und in ihre Berichterstattung integriert. Doch parallel zum Aufstieg wächst auch die Kritik. Skeptiker bemängeln die Unschärfe des Konzepts und die Gefahr des „Greenwashing“. Die Vielzahl an ESG-Ratings und -Standards führt zu Verwirrung und erschwert die Vergleichbarkeit.
Angesichts dieser Herausforderungen ist eine Neuausrichtung des ESG-Ansatzes notwendig. Statt ESG als Selbstzweck zu betrachten, müssen Unternehmen den Fokus auf die tatsächlichen Auswirkungen ihrer Aktivitäten legen. Es geht darum, ESG-Strategien zu entwickeln, die sowohl betriebswirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Nutzen stiften. Diese Neuausrichtung erfordert einen differenzierten Ansatz, der die spezifischen Herausforderungen und Chancen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance berücksichtigt.
Die drei Säulen von ESG
Im Umweltbereich haben sich in den letzten Jahren robuste Methoden zur Messung und zum Management von Umweltauswirkungen etabliert. Zentral ist die Erfassung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Viele Unternehmen orientieren sich dabei an den Standards der Science Based Targets Initiative (SBTi). Der Technologiekonzern Microsoft hat sich beispielsweise verpflichtet, bis 2030 CO2-negativ zu werden und bis 2050 alle seit Gründung des Unternehmens verursachten Emissionen zu kompensieren.
Der soziale Bereich von ESG ist deutlich komplexer und kontroverser. Er umfasst Themen wie Arbeitsbedingungen, Diversität und Inklusion, Menschenrechte in der Lieferkette und die Auswirkungen von Produkten und Dienstleistungen auf die Gesellschaft. Die Messung und Bewertung sozialer Aspekte ist oft schwierig, da qualitative Faktoren eine große Rolle spielen. Unternehmen müssen hier einen ausgewogenen Ansatz finden, der sowohl die Interessen der Mitarbeiter als auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt.
Im Governance-Bereich geht es darum, ESG-Aspekte in die bestehenden Strukturen zu integrieren. Dies kann bedeuten, Nachhaltigkeitsziele in die Vergütung des Managements aufzunehmen, ESG-Risiken in das Risikomanagement einzubeziehen oder die Diversität in Führungsgremien zu erhöhen. Der niederländische Finanzdienstleister ING hat Nachhaltigkeit fest in seiner Governance verankert, mit einem eigenen Sustainability Committee auf Vorstandsebene und klaren ESG-Zielen in der Vergütungsstruktur.
Strategische Integration von ESG
Die strategische Integration von Nachhaltigkeitsvorhaben beginnt mit der Identifikation der für das Unternehmen relevanten ESG-Themen. Eine bewährte Methode hierfür ist die Materialitätsanalyse, bei der ESG-Themen nach ihrer Bedeutung für das Unternehmen und für die Stakeholder bewertet werden. Der Chemiekonzern BASF führt regelmäßig umfassende Materialitätsanalysen durch und leitet daraus seine Nachhaltigkeitsstrategie ab.
Auf Basis der identifizierten materiellen Themen gilt es, die damit verbundenen Chancen und Risiken systematisch zu analysieren. Chancen können sich beispielsweise durch neue Märkte für nachhaltige Produkte, Effizienzsteigerungen oder verbesserte Stakeholder-Beziehungen ergeben. Risiken können regulatorische Änderungen, Reputationsschäden oder physische Risiken durch den Klimawandel umfassen.
Um sowohl betriebswirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Nutzen zu stiften, empfiehlt sich die Entwicklung einer zweigleisigen Strategie. Diese umfasst einerseits die Integration von ESG-Aspekten in das Kerngeschäft und andererseits die Entwicklung neuer, nachhaltiger Geschäftsmodelle. Der dänische Energiekonzern Ørsted hat diesen Ansatz erfolgreich umgesetzt, indem er sich von fossilen Brennstoffen abgewandt und zum weltweit führenden Unternehmen im Bereich Offshore-Windenergie entwickelt hat.
Eine konsequente ESG-Strategie kann erhebliche Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen bewirken. Energieeffizienzmaßnahmen reduzieren nicht nur den CO2-Fußabdruck, sondern auch die Energiekosten. Die Optimierung von Materialflüssen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft kann Rohstoffkosten senken und neue Einnahmequellen erschließen. Der Sportartikelhersteller Adidas setzt konsequent auf Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft und konnte dadurch nicht nur seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren, sondern auch erhebliche Kosteneinsparungen realisieren.
Mehrwert durch ESG-Integration
ESG kann zudem als Katalysator für Innovation dienen und Wettbewerbsvorteile schaffen. Unternehmen, die Nachhaltigkeitsherausforderungen als Chance begreifen, können neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die sowohl ökologischen als auch ökonomischen Mehrwert bieten. Der Automobilzulieferer Continental hat frühzeitig auf den Trend zur Elektromobilität gesetzt und ist heute führend in Bereichen wie Batteriemanagementsysteme und Leichtbaukomponenten für Elektrofahrzeuge.
Eine umfassende ESG-Strategie kann Unternehmen widerstandsfähiger gegen verschiedene Risiken machen. Unternehmen, die ESG-Aspekte in ihr Risikomanagement integrieren, sind besser auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet. Der Rückversicherer Munich Re hat Klimarisiken zu einem zentralen Element seiner Geschäftsstrategie gemacht und bietet innovative Versicherungslösungen für klimabedingte Risiken an.
Neben dem betriebswirtschaftlichen Nutzen geht es bei ESG auch um gesellschaftliche Verantwortung. Unternehmen sollten systematisch analysieren, wo die größten negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit entstehen und wie diese reduziert werden können. Der Outdoorhersteller Vaude hat eine umfassende Strategie zur Minimierung seiner Umweltauswirkungen entwickelt, die von der Verwendung nachhaltiger Materialien über energieeffiziente Produktion bis hin zu Reparatur- und Recyclingkonzepten reicht.
Partnerschaften und Unternehmenskultur
Viele Nachhaltigkeitsherausforderungen sind zu komplex, um von einzelnen Unternehmen allein gelöst zu werden. Daher gewinnen Partnerschaften und systemische Lösungsansätze zunehmend an Bedeutung. Die „Alliance to End Plastic Waste“ bringt beispielsweise Unternehmen entlang der gesamten Plastik-Wertschöpfungskette zusammen, um Lösungen für das Problem der Plastikverschmutzung zu entwickeln und umzusetzen.
Die erfolgreiche Umsetzung einer ESG-Strategie erfordert eine tiefgreifende Verankerung in der Unternehmenskultur und -struktur. Siemens hat Nachhaltigkeit zu einem zentralen Element seiner Unternehmensstrategie gemacht und dies durch entsprechende organisatorische Veränderungen untermauert. So gibt es in jedem Geschäftsbereich dedizierte Nachhaltigkeitsmanager, und ESG-Ziele sind fester Bestandteil der Managementvergütung.
Ausblick: ESG als ganzheitlicher Geschäftsansatz
Die Zukunft von ESG liegt in einer noch stärkeren Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Unternehmenszweck. Statt ESG als separaten Bereich zu betrachten, wird es zunehmend darum gehen, den gesamten Unternehmenszweck an gesellschaftlichen Bedürfnissen auszurichten. Langfristig wird sich die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft grundlegend wandeln. Statt nur Profite zu maximieren, werden Unternehmen zunehmend als aktive Gestalter einer nachhaltigen Zukunft wahrgenommen und agieren.
Die Entwicklung von ESG zu einem ganzheitlichen, zweckorientierten Geschäftsansatz markiert einen Wendepunkt in der Unternehmensführung. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen kurzfristigen wirtschaftlichen Zielen und langfristiger gesellschaftlicher Verantwortung zu finden. Letztlich bietet dieser Ansatz die Chance, Unternehmen als positive Kraft in der Gesellschaft zu positionieren und gleichzeitig langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern.